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Designprozess Rettungswinde – von der Designstudie zum finalen Produkt

Bereits seit 2015 treibt Vincorion die Entwicklung der neuen Rettungswinde ERH premierv voran. Der folgende Artikel beleuchtet die Entwicklung des Designs, welches bereits mehrere Jahre vor dem geplanten Einsatz am neuen Airbus Helikopter H145 D3 bedeutende Designauszeichnungen erhielt.

Im Jahr 2015 begann die Jenoptik-Tochter Vincorion mit der Entwicklung einer elektrischen Helikopter-Rettungswinde (ERH), welche nicht mehr auf herkömmlicher Winden-Technologie basieren, sondern als erste elektrische Rettungswinde am Markt die Vorteile eines „Capstan-Antriebs“ nutzen sollte. Zwar hatte man bereits seit mehreren Jahren Erfahrungen mit der Winde des militärischen Transporthubschraubers NH90 gemacht – welche ebenfalls einen Capstan-Antrieb nutzt – jedoch handelt es sich hier um eine hydraulische Winde, welche exklusiv am NH90 Helikopter eingesetzt wird.

Eine zentrale Zielsetzung der Ingenieure war die Entwicklung eines neuen Designs, welches sich deutlich von der Formgebung bisheriger Helikopter-Rettungswinden unterscheiden und dennoch nicht als „Fremdkörper“ am Helikopter empfunden werden sollte. Ebenso sollte der von Anfang an geplante modulare Aufbau sowie die visuell erkennbare Servicefreundlichkeit ein wichtiges Merkmal des neuen Produktes sein.

Um die Formgebung bereits von Beginn der Entwicklung an von einem Produktdesigner begleiten zu lassen, entschied man sich zum ersten Mal für die Zusammenarbeit mit dem Designer, der bereits seit über 10 Jahren für das Produktdesign der Jenoptik-Sparte „Traffic Solutions“ verantwortlich war.

In enger Zusammenarbeit mit Entwicklung und Konstruktion entstanden die ersten „Konzept-Designs“ und die Idee, das Cowling (die „Hülle“ der Winde) in einen Mittelteil und zwei identische Nasen aufzuteilen. Das sollte die Demontage für Reparaturen und Wartungsarbeiten vereinfachen und diese Option auch visuell – durch sichtbare Fugen zwischen den einzelnen Bereichen – zeigen.

Eine weitere Anforderung war der Wunsch, die Winde auch optisch möglichst kompakt und keinesfalls wuchtig erscheinen zu lassen. Die umlaufenden, auffällig breiten Fasen verkleinern die Seitenflächen, lassen dadurch die Winde kleiner erscheinen und verringern so ihr „visuelles Gewicht“. Der dadurch entstehende Querschnitt des Cowlings umschliesst das „Innenleben“ der Winde zudem so knapp wie möglich, und trägt damit zu einer möglichst kleinen Stirnfläche bei. Und nicht zuletzt waren selbstverständlich die aerodynamischen Eigenschaften der Winde und ihre Widerstandsfähigkeit unter extremen Belastungen (wie z.B. Vogelschlag) ein wichtiges Kriterium für das Design des Cowlings – und insbesondere für die Formgebung der „Nasen“.

Die finale Gestaltung der Winde ist die logische Konsequenz aus einer Vielzahl komplexer Randbedingungen. Ihre Form vereint aerodynamische und sicherheitsrelevante Anforderungen zu einem neuen, kompakten Produkt. Trotz ihrer eigenständigen Form erscheint die Winde nicht als Fremdkörper, sondern fügt sich in das Design des Helikopters ein. So wurde bereits 2017 das Design der „SkyHoist 800“ – so der vorläufige Arbeitstitel – mit dem Good Design Award in der Kategorie „Safety & Security“ ausgezeichnet. Der internationale Preis für Produktdesign ist die wichtigste Designauszeichnung der USA. Ebenso erhielt das Design den German Design Award „Special Mention“. Der Designpreis ist eine der wichtigsten Designauszeichnungen in Deutschland.

Eine zentrale Idee war von Beginn an die Option zur Varianten-Bildung innerhalb des Konzeptes. Durch unterschiedliche Kombinationen der „Nasen“ mit dem mittleren Bereich lassen sich prinzipiell vier unterschiedliche Außenformen – als Parallelogramm oder Trapez – realisieren. Diese „Design-Optionen“ waren besonders wichtig, denn im Verlauf der Entwicklung der Winde musste immer wieder mit technisch-konstruktiven Änderungen gerechnet werden, welche eine geänderte Geometrie des Cowlings erfordern würden. Insbesondere einer wichtigen „Safety-Anforderung“ – der Integration eines längeren Dämpfungselementes für das Seil – ist zu verdanken, dass man sich bei der finalen Winde für das
v-förmige „Trapez“ entschied. Durch die Wahl dieser Form konnte das Dämpfungselement problemlos integriert werden, ohne die Abmessungen zu vergrößern.

Airbus Helicopters stellte die voraussichtliche Integration der ERH premierv auf dem ersten „Helicopter Hoist Operators Symposium“ im September 2021 zum ersten Mal dem Fachpublikum vor. Die Umsetzung dieser Integration für ihren Einsatz am neuen fünfblättrigen H145 D3 ist für die nächsten Monate geplant. Wer jedoch glauben sollte, die neue Helikopter-Rettungwinde von Vincorion sei nun der Endpunkt einer Entwicklung der kann schon jetzt davon ausgehen, dass weitere Entwicklungen von Capstan-Winden folgen werden. Und damit weitere Integrationen in andere Helikopter – und selbstverständlich weitere Designs.

Über den Autor

Ralf Jakubowski ist selbständiger Dipl. Industrial-Designer. Er war viele Jahre Dozent für Design-management & Designtheorie und erhielt wichtige nationale & internationale Design-Auszeichnungen, war u.a. Berater der Innenministerkonferenz und arbeitet als Designer und Designberater in den Bereichen Luftfahrt, Verkehrstechnik, Marine und Defence für namhafte Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.

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