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Nordrhein-Westfalen: Unverzichtbar für die Luft- und Raumfahrt

AeroSpace.NRW im Gespräch mit Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, über die Luft- und Raumfahrtindustrie in NRW.

Herr Minister Pinkwart, wo steht die Luft- und Raumfahrtindustrie in Nordrhein-Westfalen?

Der Standort Nordrhein-Westfalen steht sicher auf Augenhöhe mit den großen und bekannten Luft- und Raumfahrtstandorten. Unsere Unternehmen sind sehr gut in der Komponentenherstellung aufgestellt und als Zulieferer für die Branche unverzichtbar. Keiner der Flugzeugbauer – weder Airbus noch Boeing oder die Deutsche Aircraft – könnte ohne seine Partner aus Nordrhein-Westfalen agieren. Ein Beispiel hierfür ist ein Unternehmen aus Paderborn – ein Zulieferer für die Tragflächen der D328ecoTM. Die Ostwestfalen verleihen dem Flugzeug – im wahrsten Sinne des Wortes – den nötigen Auftrieb und sorgen für die sichere Landung, denn auch das Fahrwerk wird aus Paderborn geliefert.

Ähnliches gilt für die Raumfahrt. Auch hier ist Nordrhein-Westfalen führend mit dabei: Viele Teile, z.B. Brennkammern für die Ariane Rakete oder Teile des Mars Rovers, werden hier bei uns entwickelt und produziert. Die Forschungsaktivitäten an diversen Standorten im Land liefern die nötigen Impulse für Entwicklungen und sorgen dafür, dass die Technik immer auf dem neusten Stand ist.

Beim 15. Tag der deutschen Luft- und Raumfahrt konnte ich mir im vergangenen Jahr in Aachen persönlich ein Bild davon machen, wie gut Nordrhein-Westfalen im deutschlandweiten Vergleich aufgestellt ist. Das ist wirklich beeindruckend.

Mit Blick auf die Zukunft: Welche Themen sind Ihrer Meinung nach für die Luft- und Raumfahrtindustrie relevant?

Fliegen wollen und werden wir alle auch in Zukunft. Das ist aus einer modernen, global vernetzen Gesellschaft mit dem Transport von Menschen und Waren nicht mehr wegzudenken. Die Frage ist aber: Wie wird Mobilität in Zukunft aussehen? Und da wird die Antwort in jedem Fall sein: anders. Für den Luftverkehr sind damit besondere Herausforderungen verbunden und ich sehe es als Aufgabe der Industrie, dafür Lösungen zu entwickeln und anzubieten.

Zunächst müssen natürlich die Anforderungen des Klimaschutzes und die Vermeidung von Lärm adressiert werden. Wir werden sehen, dass darauf aufbauend ganz neue technologische und konzeptionelle Entwicklungen die Luftmobilität von Morgen ermöglichen werden. Also unkomplizierte, erschwingliche, innovative Transportmöglichkeiten für alle, die einen echten Mehrwert im täglichen Leben haben. Aber eben nur in Kombination mit Klimaneutralität.

Wie adressiert Nordrhein-Westfalen das klimaneutrale Fliegen?

Nordrhein-Westfalen ist eines der aktivsten Bundesländer, wenn es um die Entwicklung klimaneutraler Technologien geht. Wir treiben den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft voran – dazu haben wir unsere Wasserstoff-Roadmap vorgelegt. Und im Rheinischen Revier vollzieht sich ein Strukturwandel, der technologie- und innovationsgetrieben enorme Entwicklungsperspektiven schafft. Hier werden gemeinsame Anstrengungen von Forschung, Politik und Industrie unternommen, um von der Erzeugung der Energieträger bis hin zu entsprechenden Antriebskonzepten neue Möglichkeiten zu realisieren – und zwar technologieoffen. Wir müssen die ganze Bandreite möglicher Energieträger nutzen. Neben Wasserstoff werden auch rein elektrische Antriebe und klimaneutrale Kraftstoffe entwickelt. Zum Thema synthetische Kraftstoffe haben wir kürzlich als erstes Bundesland ein Handlungskonzept vorgelegt, um aufzuzeigen, wie synthetische Kraftstoffe zügig in Richtung Marktreife und Wettbewerbsfähigkeit gebracht werden können.

Sie haben eben die Mobilität der Zukunft angesprochen. Gibt es hierfür schon erste Ideen?

Ideen gibt es jede Menge – in Unternehmen, Forschungseinrichtungen und an den Hochschulen arbeiten viele kluge Köpfe an der Mobilität von morgen. Die Entwicklung der autonomen Luftfahrt und luftgestützter Mobilitätskonzepte für Mensch und Ware hat in Nordrhein-Westfalen längst begonnen. Wir haben zahlreiche Start-ups und etablierte Unternehmen hier, die im Segment der Flugtaxis und Transportdrohnen tätig sind. Damit können nicht nur Passagiere ihre Wege verkürzen und optimierte Routen nutzen, sondern es können auch zeitkritische Transporte durchgeführt werden – beispielsweise von medizinischen Proben oder dringend benötigten Medikamenten. Die ersten praktischen Beispiele und Pilotprojekte für Warentransporte gibt es bereits. In der Stadt kann so der Straßenverkehr umgangen – oder besser: überflogen – werden. Und für den ländlichen Raum bedeutet die luftgestützte Mobilität eine Verbesserung der Infrastruktur und Lebensqualität. Der gesamte Bereich der autonomen Flugsysteme ist aus meiner Sicht sehr spannend, da hier die unterschiedlichsten Anwendungen möglich sind. Nicht nur für die Logistik, im medizinischen Bereich oder in Katastrophenfällen, sondern z.B. auch bei Begutachtung und Wartung von Infrastrukturen – also Straßen, Brücken, Windkraftanlagen, Hochspannungsleitungen – oder in der Landwirtschaft. Und Höhenwindenergieanlagen für effiziente Stromgewinnung greifen auf die gleichen Technologien wie autonom fliegende Systeme zurück. Die Technologien aus der Luft- und Raumfahrt sind also auch in anderen Bereichen von Nutzen. Es gilt jetzt, diese ersten Ansätze zu alltagstauglichen Konzepten weiterzuentwickeln.

Was bedarf es denn, um diese Weiterentwicklung zu ermöglichen?

Ein zentrales Thema sind digitale Technologien. Das ist nicht nur für die autonome Luftfahrt essenziell. Für die Industrie bedeutet Digitalisierung weit mehr als nur Homeoffice und virtuelle Meetings – die digitale Transformation wird tiefgreifend, teils disruptiv sein. Die Industrie 4.0 ermöglicht neuartige Fertigungsmethoden oder auch Kommunikation über Datentelemetrie. In der Anwendung können so komplette Prozessstrukturen digitalisiert und optimiert werden. Das bringt Vorteile sowohl in der Fertigung, z.B. durch Einsparung von Rohstoffen, als auch bei der Erprobung und Zulassung, die durch die Digitalisierung beschleunigt oder vereinfacht werden können.

Wichtig ist darüber hinaus die kontinuierliche und enge Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft und der damit verbundene Transfer von Wissen und Technologie von den Hochschulen in die Industrie. Das wollen wir in Nordrhein-Westfalen weiter vorantreiben. Der Forschungsflugplatz Aachen-Merzbrück ist hier ein Leuchtturmprojekt, wo mit nordrhein-westfälischen Know-how die Luft- und Raumfahrt vorangebracht wird.

Wenn Sie gerade den Forschungsflugplatz Aachen-Merzbrück erwähnen: Was entsteht dort genau und gibt es weitere solcher Standorte in Nordrhein-Westfalen?

Im Zuge des gerade stattfindenden Strukturwandels im Rheinischen Revier haben wir die Möglichkeit, die Industrie bei ihrer Ausrichtung auf neue und wichtige Zukunftstechnologien und -märkte zu unterstützen. Also weg von der Kohle hin zu High-Tech, wenn Sie so wollen. Hierfür entsteht gerade unter anderem am Forschungsflugplatz Aachen-Merzbrück ein vernetztes Ökosystem, in dem sich Wirtschaft und Wissenschaft eng miteinander austauschen werden. Der Fokus liegt dabei auf der Technologieentwicklung für kleine Luftfahrzeuge unter anderem für gänzlich neue Mobilitätskonzepte, welche auch die schon angesprochenen Zukunftsthemen wie Klimaneutralität, Digitalisierung und Mobilitätsentwicklung ausdrücklich einschließen.

Ähnliche „Vernetzungs-Hotspots“ mit unterschiedlichen Schwerpunkten sind auch an anderen Orten geplant, nicht nur im Rheinischen Revier. Da wäre etwa Aldenhoven für die vertikale Mobilität – also senkrecht startende und landende Flugsysteme –, wo es darum geht, Störfaktoren der Positionsbestimmung und Datenübermittlung zu erforschen, um einen sicheren Einsatz der Systeme gewährleisten zu können. Oder auch Mönchengladbach, wo der Schwerpunkt auf dem Bereich Wartung und Instandhaltung liegt. In Paderborn richtet sich der Fokus auf die Entwicklung einer zukunftssicheren Produktion. Alle diese Projekte setzen auf den Einsatz digitaler Technologien zur Optimierung von Prozessen und Kosten. Digitale Tools ermöglichen auch eine größtmögliche Transparenz bei Herstellung und Nachverfolgung von Komponenten und Systemen.

Schon diese Beispiele zeigen meines Erachtens deutlich, wie intensiv und vor allem breit gefächert wir uns in Nordrhein-Westfalen für eine lebenswerte und mobile Zukunft engagieren und diese mitgestalten. Es werden sicherlich noch weitere Schwerpunktstandorte hinzukommen, denn die Technologieentwicklung in der Branche ist sehr dynamisch und erfährt kontinuierlich Anpassungen. Für uns heißt das, sowohl die Herausforderungen anzugehen als auch und vor allem die daraus entstehenden Chancen zu antizipieren und zu ergreifen.

Was kann die Politik tun, um diese Herausforderungen und Chancen zu erkennen und entsprechend zu handeln?

Gerade was die Entwicklung der Luft- und Raumfahrtindustrie angeht, muss man die nötige Expertise haben, um die Standortentwicklung und damit auch die Wirtschaft voranzubringen. Um die Entwicklungen und die Transformation in die richtige Richtung zu lenken und die relevanten Akteure zusammenzubringen, haben wir Anfang 2021 das Netzwerk Aerospace.NRW gegründet, das als Bindeglied zwischen Gesellschaft, Industrie, Forschung und Politik agiert. Wir wollen so die wichtigen Themen der Zukunft identifizieren, priorisieren und dann auch entsprechend bearbeiten. Die Impulse aus dem Netzwerk kann die Politik nutzen, um basierend auf realen Erfordernissen ein entsprechendes Umfeld zu schaffen, in dem eine wirtschaftliche Umsetzung von innovativen Ideen möglich ist. Das ist der Schlüssel zum Erfolg – nicht nur für die Luft- und Raumfahrtindustrie, sondern für ganz Nordrhein-Westfalen.

Herr Minister, vielen Dank für dieses Gespräch.
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